Win or go home: Episode 2 aus „Full Swing“ ist grandios
Brooks Koepka und Scottie Scheffler sind die Protagonisten in Episode 2 der Netflix-Serie „Full Swing“. Die 30-minütige Folge bringt den schmalen Grad zwischen Triumph und Tragödie, der den Golfsport unter anderem ausmacht, grandios auf den Punkt.
Nehmen wir es gleich vorweg: Die zweite Folge der Netflix-Dokuserie „Full Swing“ kommt für uns der Höchstnote sehr nah. Weil sie vieles von der wahren Faszination darstellt, die den Golfsport ausmacht. Die chirurgisch feinen Faktoren, die über Sieg und Niederlage entscheiden. Die Dramen, die sich mitunter zwischen den Ohren abspielen. Wir sehen, welche Emotionen dieser Sport auslösen und wie er Menschen in seinen Bann ziehen kann.
Es hätten kaum passendere Anschauungsobjekte gewählt werden können, als Brooks Koepka und Scottie Scheffler. Wir lernen zunächst Koepka kennen – und zwar so, als hätten wir von ihm noch nie etwas gehört. Dass die Serie sich auch an Newbies richtet, ist eine Kröte, die langjährige Golffans schlucken müssen. Immerhin werden nicht mehr, wie noch in Episode 1, Grundbegriffe des Sports wie Handicap und Par erklärt.
Koepka gibt sich, wie er sich sonst auch gibt. Betont maskulin und scheinbar immer ein bisschen zu cool für den Rest der Welt. Markige Sprüche a la „Ich will immer der beste der Welt sein“ oder „Ich gönne keinem anderen den Sieg“ gehören nun einmal zu seiner Persönlichkeit dazu. Allerdings wirkt sein vor sich hergetragenes Selbstbewusstsein doch eher aufgesetzt angesichts der Problematik, die sehr schnell zur Sprache kommt: Zwischen 2017 und 2019 wurde Brooks seinem formulierten Weltklasse-Anspruch gerecht, doch nach einer Verletzungsmisere fand er nie wieder zu der Form zurück, die ihn während seiner vier Major-Siege ausgezeichnet hat.
Wie sehr dies an ihm nagt, wird bei sämtlichen Homestory-Aufnahmen deutlich. Koepka schleicht durch sein luxuriöses Anwesen und weiß nicht so recht, wohin mit sich. Sein Selbstverständnis ist erschüttert und alles scheint ihm irgendwie unangenehm. Sämtliche Gespräche mit Vertrauten im Hause Koepka drehen sich um die Frage, wie Brooks mal wieder ein Turnier gewinnen könnte. Wir kaufen ihm das komplett ab, denn so konsistent ließe sich die Story kaum skripten. Koepkas Ehefau, die Schauspielerin Jena Sims, gesteht – wenn auch mit Designer-Sonnenbrille am Pool liegend – offen: „Ich mache mir Sorgen um die Zukunft“. Damit ist vielleicht weniger das finanzielle Auskommen als vielmehr das langfristige Seelenheil des Gatten gemeint.
Scottie Scheffler ist der Anti-Koepka
Auftritt Scottie Scheffler. Der Shootingstar 2022 bildet in vieler Weise das Gegenstück zu Koepka. Von Weltranglistenplatz 15 kommend, legte Scheffler im Frühjahr 2022 aus heiterem Himmel richtig los und gewann unglaubliche vier Events binnen nicht einmal 60 Tage. Der tiefgläubige, bescheidene Texaner scheint allein schon charakterlich das Gegenstück zum großspurig auftretenden Koepka zu sein. Vielmehr fällt jedoch auf, wie traumwandlerisch er jeden noch so schwierigen Putt zu lochen scheint. Während Koepka zu jedem Schlag antritt wie das Lamm zur Schlachtbank, geht Scheffler mit dem festen Vertrauen zum Ball, dass er es kann.
Koepka bringt es agnostisch auf den Punkt: „Ihm gelingt alles und wahrscheinlich denkt er überhaupt nicht darüber nach. Und bei mir läuft nichts zusammen, dabei denke ich an nichts anderes, als an Golf“. In wohl kaum einer anderen Sportart spielt die Psyche eine derart maßgebliche Rolle, wie im Golfsport.
Den Ausweg, den Brooks für sich sieht, teasert er am Ende der Episode auch noch an. Oder vielmehr die Moderation aus dem Off, die ihn fragt, ob er von LIV Golf schonmal etwas gehört hat. Koepka grinst.
9/10
Fotos: Getty Images