Große Olympia-Vorschau: Schon wieder ein favorisiertes US-Duo

Nelly Korda und Lilia Vu geben sich die Faust

Wenn die Golferinnen am Mittwoch in ihren olympischen Wettbewerb starten, ist die Konstellation ähnlich wie bei den männlichen Kollegen: Zum engsten Kreis der Medaillenfavoritinnen gehört das US-amerikanische Spitzenduo der Weltrangliste. Trotzdem ist nicht unbedingt davon auszugehen, dass auch das zweite Olympia-Gold an die Vereinigten Staaten geht.

Denn wenig überraschend sind Korda und Vu nicht Scheffler und Schauffele. Tatsächlich gab es im Frühjahr eine Phase, in der Nelly Korda und Scottie Scheffler der Konkurrenz im Gleichschritt enteilten. Die Parallelen drängten sich geradezu auf: Von März bis April gewannen beide je vier Turniere, darunter das erste Major des Jahres. Korda hatte bereits im Januar ihren ersten Saisonsieg auf der LPGA Tour eingefahren und legte im Mai sogar noch den sechsten nach.

Doch danach zeigten die Formkurven der beiden Weltranglistenersten plötzlich in unterschiedliche Richtungen. Scheffler konnte im Juni nach einer kurzen Babypause zwei weitere Signature Events der PGA Tour gewinnen und landete bei zwei von drei verbliebenen Majors in den Top Ten.

Korda hingegen verpasste direkt nach ihrem letzten Titel dreimal in Folge den Cut. Bei der U.S. Women’s Open schied sie aus, nachdem sie eine 10 auf einem Par-3-Loch kassiert hatte. Bei der Women’s PGA Championship blieb ihr das Wochenende aufgrund einer 81 am Freitag verwehrt – mit der Runde stellte sie ihren persönlichen Negativrekord im Profibereich ein. Immerhin erreichte sie zuletzt bei der Evian Championship einen geteilten 26. Rang, doch von ihrem Topniveau der Vormonate ist sie noch immer ein gutes Stück entfernt.

Obwohl Korda und Scheffler ihre jeweilige Weltrangliste anführen und beide auf sechs Saisonsiege kommen, waren ihre Ausgangssituationen vor Olympia gänzlich verschieden. Die Medaillenchancen von Scheffler waren deshalb von vornherein höher einzustufen – und der Goldjunge der USA hat sie genutzt.

Doch abschreiben sollte man Korda natürlich nicht. Wenn das Ausnahmetalent zu seinem Spiel findet, müssen sich sämtliche Gegnerinnen in Acht nehmen. Schließlich hängt bereits eine Goldmedaille in ihrem Trophäenschrank. Die Olympia-Siegerin von Tokio geht in Paris als Titelverteidigerin an den Start.

Verletzung bravurös überwunden

Die Zweitplatzierten hinter Korda und Scheffler in der Weltrangliste kommen ebenfalls aus den Vereinigten Staaten – und wurden im Vorfeld der Olympischen Spiele als heiße Titelkandidaten gehandelt. Doch trotz aller Analogie sind auch die Ausgangssituationen dieser beiden kaum miteinander vergleichbar: Während sich Xander Schauffele nach seinem jüngsten Major-Double auf Augenhöhe mit Scheffler befindet, steht Lilia Vu zumindest aktuell in Kordas Schatten.

Ein Grund dafür war allerdings eine langwierige Rückenverletzung, die Vu zu Saisonbeginn ausbremste. Bei der Chevron Championship konnte die Vorjahressiegerin deshalb nicht starten und ihren Titel nicht verteidigen. Später fand auch die U.S. Women’s Open ohne sie statt.

Zuletzt ging es jedoch wieder merklich aufwärts. Mitte Juni feierte Vu beim Meijer LPGA Classic ihren ersten Saisonsieg – es war ein besonders emotionaler Erfolg. Eine Woche später wurde sie geteilte Zweite bei der Women’s PGA Championship. Der Trend spricht also für sie.

Kampf der geschrumpften Giganten

Komplettiert wird das US-Aufgebot von der Weltranglistenneunten Rose Zhang. Die Vereinigten Staaten dürfen mit drei Spielerinnen antreten, weil diese in den Top 15 der Weltrangliste positioniert sind. Bis zu vier Startplätze pro Nation wären möglich gewesen, doch dazu kam es diesmal nicht.

Über die gleiche Kaderstärke wie die USA verfügt ansonsten nur Südkorea. Mit Amy Yang, Jin Young Ko und Hyo Joo Kim besteht das hochkarätige Team aus der Dritten, Vierten und Zwölften der Weltrangliste. Nachdem Yang im Juni die Women’s PGA Championship gewonnen hat, sind zudem alle drei Major-Siegerinnen.

Gleichzeitig fällt auf, dass erstmals weder die USA noch Südkorea vier Teilnehmerinnen beim olympischen Golfturnier stellen. Vor drei Jahren in Tokio waren sogar noch beide Großmächte des Damengolfs mit einem Quartett vertreten.

Dynamische Duos im halben Dutzend

Alle anderen Teams, die über zwei oder weniger Spielerinnen in den Top 15 der Weltrangliste verfügen, müssen sich in Paris mit dem Maximum von zwei Startplätzen begnügen. Doch die Duos müssen sich keinesfalls verstecken. Für sechs Nationen stehen die Medaillenchancen besonders gut, weil ihre jeweiligen Vertreterinnen beide dem erweiterten Favoritinnenkreis zugerechnet werden.

Zu dem halben Dutzend gehören China mit der Weltranglistenfünften Ruoning Yin und Xiyu Lin, Australien mit der Weltranglistensechsten Hannah Green und Minjee Lee sowie Großbritannien mit der Weltranglistenelften Charley Hull und Georgia Hall. Wie das englische Duo besteht auch das schwedische aus zwei europäischen Solheim-Cup-Heldinnen der letzten Ausgabe: Maja Stark und Linn Grant. Letztere hat außerdem im Juni mit ihrem historischen Sieg beim Volvo Car Scandinavian Mixed auf sich aufmerksam gemacht. 

Thailand darf sich ebenfalls Hoffnung auf Edelmetall machen: Bei einigen Buchmachern hat sich Atthaya Thitikul sogar auf den zweiten Platz zwischen Korda und Vu geschoben. Auch das zweite Eisen im Feuer scheint vielversprechend, denn schließlich ist Patty Tavatanakit eine ehemalige Major-Siegerin – im Gegensatz zu ihrer jüngeren Teamkollegin. Diese war zwar schon Weltranglistenerste, wartet aber noch auf ihren ersten großen Titel. Eine olympische Medaille für das Heimatland wäre sicherlich ein solcher. Die Favoritinnenrolle erhöht nun allerdings den Druck auf das einstige Wunderkind.

Doch in gewisser Weise sind das natürlich Luxusprobleme. Dergleichen kennt man auch in Japan, das über mehr Spitzenspielerinnen als Startplätze verfügt. Weil Ayaka Furue die Evian Championship erst nach dem Stichtag für die Determinierung des Olympia-Feldes gewann, lag sie zum Zeitpunkt der Entscheidung einen Weltranglistenplatz hinter Miyū Yamashita. Diese qualifizierte sich deshalb regelgemäß anstelle der aktuellen Weltranglistenachten und vertritt das Land der aufgehenden Sonne an der Seite von U.S.-Women’s-Open-Siegerin Yuka Saso.

Mittelschicht mit Aufstiegschancen

Das deutsche Duo geht mit Außenseiterchancen in den Wettbewerb. Im Olympic Golf Ranking, das die Teilnehmerinnen nach ihrer Weltranglistenposition sortiert, belegen Esther Henseleit und Alexandra Försterling den 27. und 28. Platz von insgesamt 60 Spielerinnen. Über den Daumen gepeilt ist also die eine Hälfte der Konkurrenz stärker und die andere schwächer einzuschätzen – mehr Mittelfeld geht kaum.

Doch an einem Sahnetag können die beiden mit der Weltspitze konkurrieren. Henseleit hat in dieser Saison schon zwei Top-Ten-Platzierungen bei Majors der LPGA Tour erreicht, Försterling auf der Ladies European Tour zwei Turniere gewonnen – darunter das Amundi German Masters in ihrer Berliner Heimat. Wenn alles zusammenkommt, ist eine positive Überraschung möglich.

Von der Lokalmatadorin zur Olympia-Spezialistin

Es bleiben noch diejenigen Nationen, die lediglich eine realistische Medaillenoption haben – entweder weil sie nur mit einer Teilnehmerin antreten oder weil der Leistungsunterschied innerhalb des Teams wahrscheinlich zu groß ist.

Besonders im Fokus steht die Hoffnungsträgerin der Gastgeber: Céline Boutier soll bei ihrem Heimspiel die allererste Golf-Medaille für Frankreich holen. Die Erwartungen an die Weltranglistensiebte könnten höher kaum sein. Ihre Form könnte allerdings besser sein. Nach der traumhaften Vorsaison mit vier Siegen auf der LPGA Tour wirkt die laufende Spielzeit durchwachsen bis enttäuschend. Bei 15 Starts verpasste sie zwar nur einmal den Cut, erreichte aber auch nur einmal die Top Ten. Eine olympische Medaille im eigenen Land wäre der ersehnte Befreiungsschlag.

Zu den Nationen, die wohl alles auf ein Pferd setzen müssen, gehören auch Kanada mit Brooke Henderson, Irland mit Leona Maguire, Spanien mit Carlota Ciganda und Mexiko mit Gaby López. Komplett überzeugend war in dieser Saison aber bislang keine von den vieren. Aufgrund ihrer unbestrittenen Qualität ist trotzdem nicht auszuschließen, dass sie in den Kampf um das Podest eingreifen können. Gerade Henderson ist als zweifache Major-Siegerin prädestiniert für große Momente in großen Turnieren.

Zu guter Letzt darf die Golferin mit den meisten olympischen Medaillen nicht fehlen: Lydia Ko hat als einzige deren zwei gewonnen. Zugegeben: Nach über einem Jahrhundert im olympischen Abseits kehrte die Disziplin erst 2016 in das Programm der Sommerspiele zurück. In Paris werden folglich erst zum dritten Mal nach der Wiederaufnahme Golf-Medaillen verteilt – es gab also gar keine Möglichkeit, die kleine Sammlung von Ko zu übertreffen. Auf der anderen Seite fällt ihre bisherige Medaillenquote bei olympischen Golfturnieren makellos aus. Nach zwei Editionen mag deren Aussagekraft gering sein, doch eines ist offensichtlich: Ko fühlt sich auf der olympischen Bühne pudelwohl. Ein weiteres Edelmetall für die Neuseeländerin liegt durchaus im Bereich des Möglichen. Nach Silber in Rio de Janeiro und Bronze in Tokio fehlt ja eigentlich nur noch Gold.

Foto: AFP

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