„Druck kann ich mir nur selbst machen“ – Exklusivinterview mit Golf-Shootingstar Chiara Noja
Ein neuer Stern strahlt am deutschen Golf-Himmel. Mit grade einmal 16 Jahren hat Chiara Noja vor kurzem ihr erstes Turnier auf der Ladies European Tour gewonnen. Bei der Einzelwertung der Aramco Team Series in Dschidda (Saudi-Arabien) setzte sie sich im Stechen gegen die Weltklasse-Golferin Charley Hull aus England durch.
Der Sieg ist das Ergebnis jahrelanger harter Arbeit und bekommt eine besonders emotionale Komponente, wenn man weiß, dass Noja als Kind noch zu Hull aufblickte, die damals schon ein Star in der Golf-Welt war. Für 123golfsport ist dieser phänomenale Erfolg Grund genug für unser erstes Interview mit der hochtalentierten Golferin.
Chiara, bitte nimm uns nochmal mit zu dem Moment, in dem klar war, dass du nun ins Stechen gegen dein früheres Idol Charley Hull gehen würdest. Was geht da in einer Golferin vor?
Es war ja schon mein zweites Stechen in diesem Jahr. Das erste habe ich verloren. Deshalb habe ich versucht, diesmal genau das Gegenteil zu tun. Ich habe mich ermahnt, ruhig zu bleiben und mich nicht einschüchtern zu lassen. Es ging für mich darum, mich einfach auf mein Golf zu konzentrieren. Wenn ich mich richtig erinnere, war ich zwei Flights vor Charley dran und hatte schon zehn bis 15 Minuten warten müssen. Das war ein sehr merkwürdiges Gefühl. Ich will nicht sagen, dass man sich einen Fehler wünscht, aber ganz von der Hand zu weisen ist das ja nicht. Natürlich habe ich nicht gehofft, dass sie ein Birdie spielt und ich Zweite werde.
Nun hat sie das Par gespielt und du hast sie am zweiten Extraloch geschlagen. Auf den Aufnahmen wirkst du bemerkenswert souverän.
Ich war total nervös! Aber das war schon am gesamten Finaltag so. Zum Glück habe ich es geschafft, mich auf die Dinge zu konzentrieren, die ich kontrollieren konnte. Man sollte einfach versuchen, gutes Golf zu spielen. Den Fairway treffen, das Grün und dann den Putt lochen. Und nicht zu viel über die großen Dimensionen und das ganze Turnier nachdenken. Sonst wäre ich, glaube ich, durchgedreht. Zum Glück war Charley auch total lieb und eine tolle Gegnerin.
Mit ein bisschen mehr Glück hättest du ja schon am ersten Loch gewinnen können – es haben wenige Zentimeter gefehlt. Ist da nicht die Gefahr groß, dass man die Coolness verliert?
Stimmt, da war ich im Vorteil. Mein Putt war eigentlich die ganze Woche lang gut und natürlich habe ich versucht, auch diesen Putt direkt zu lochen. Aber ich wollte auch nichts riskieren und dachte mir: Schlimmstenfalls wird es Zwei-Putt. Ja, der erste Versuch war dann sehr knapp vorbei. Aber ich wusste, ich habe mein Bestes gegeben und wenn Charley ihren Putt jetzt locht, dann gehen wir halt zurück. Aber es hat mir keine Angst gemacht, da ich absolutes Vertrauen in mich hatte.
Wann kommt im Verlaufe so einer Turnier-Woche der Gedanke, dass es diesmal reichen könnte und man vielleicht Chancen hat, das Event zu gewinnen?
Da muss ich zuerst mal sagen, dass ich meine zweite Runde am allerbesten fand, obwohl das Ergebnis mit lediglich -2 mein schlechtestes in der Woche war. Aber ich habe tolle Eisen geschlagen und richtig gut gedrived. Meine Putts waren eigentlich auch gut, sind aber schlicht und einfach immer wieder ausgelippt. Das zeigt einfach, wie klein im Golf die Unterschiede sind.
Am nächsten Tag habe ich mehr oder minder dasselbe Golf gespielt, doch auf der Scorekarte stand am Ende eine -7. Das alles hatte ich nicht ständig präsent. Ich wusste nur, dass ich zwischen 7 und 9 unter spielen muss, um oben dabei zu sein, denn es war klar: Die Mädels oben werden nicht viele Fehler machen.
Am zweiten Tag habe ich meine beste Runde gespielt, obwohl das Ergebnis mein schlechtestes in der Woche war.
Und so war es dann auch. Da ich zwei Flights vor Charley dran war, habe ich mir immer gedacht: Selbst wenn ich Eagle spiele, kann sie immer noch dasselbe Eagle spielen. Und so hatte ich dann immer irgendwie das Gefühl, dass ich in der Jäger-Position war. Zum ersten Mal genauer hingeschaut habe ich dann auf der 16. Das ist das Par 3 mit dem Meer links vom Grün. Ein sehr gruseliges Loch, wenn man führt, denn da kann sehr viel schieflaufen. Wir mussten dann sehr lange auf die Gruppe vor uns warten und da habe ich zum ersten Mal registriert: Ich führe und es wird sich zwischen Charley, Nicole Garcia und mir entscheiden. So kam es dann auch.
Hast du einen speziellen Mental-Coach, der dir Techniken beibringt, um so souverän zu bleiben?
Ich habe meinen Vater (lacht). Und der ist dabei wahrscheinlich besser als jeder Coach. Er hat schon sehr früh mit mir trainiert, wie man sich in Drucksituationen verhält und mich so an Wettkampf-Szenarien gewöhnt. Beim Training hat er mir verschiedenen Challenges gestellt und hat mich auch in einem sehr jungen Alter in das kalte Wasser des Amateur-Golfs geworfen, wo ich lernen musste, zu schwimmen. Gleichzeitig hat er mir immer beigebracht: Egal, wie viele Menschen zuschauen – der Druck ist immer derselbe. Denn Druck kann ich mir nur selbst machen. So bin ich dann in meine Laufbahn mit dem Gefühl gegangen, dass ich nichts zu verlieren habe. Stattdessen habe ich an mich geglaubt.
Jeddah bedeutete deinen ersten Turniersieg in der Ladies European Tour. War das der Höhepunkt in deinem bisherigen Leben als Golferin?
Natürlich ist es ein Höhepunkt, denn es war mein größter Sieg. Aber es gab Momente in meiner Karriere, in denen ich gescheitert bin, die vielleicht den noch größeren Einfluss hatten und deshalb noch wichtiger waren. Wenn es gut läuft und man gewinnt, dann ist man ganz locker. Aber erst, wenn du mal eine richtig schwierige Woche hattest, und dann zurückkommst, eine gute Runde produzierst – das sind die Momente, aus denen man lernt, an denen man wächst. Für mich ist meine erste LET-Teilnahme bei der Omega Moonlight Classic 2020 der wichtigste Moment, denn das war ein einschneidendes negatives Erlebnis und ab diesem Zeitpunkt habe ich viel über den Sport und über mich selbst gelernt.
Wie bewertest du deine persönliche Leistung in deiner ersten Saison bei der Ladies European Tour?
Als ich in die Saison gegangen bin, habe ich mit meinem Team das Ziel definiert, vor allem an der mentalen Stärke zu arbeiten. Das hatte Priorität und ich denke, das habe ich über die Saison recht gut gemacht. Vielleicht gab es zwei bis drei Turniere, bei denen ich erschöpft war und deshalb nicht so konzentriert, wie sonst. Aber davon abgesehen habe ich es ordentlich gemacht und gelernt, den Stress eines schlechten Lochs gut zu verarbeiten und wegzustecken. In diesem Sinne war es für mich eine gute Saison.