Review: Full Swing – Episode 1
Mit „Full Swing“ spendiert uns Netflix eine bildgewaltige Hochglanz-Dokumentation, die ein umfassendes Bild vom Profi-Golfsport zeichnen soll. Für uns ist das Anlass für ein großes Review – nicht von der Serie, sondern von jeder einzelnen Folge.
Folge 1 stellt das Verhältnis zwischen Jordan Spieth und Justin Thomas in den Mittelpunkt. Der Episodentitel „Frenemies“ ist ein englisches Wortspiel: Die Kombination aus Freunde („Friends“) und Gegner (Enemies) funktioniert nicht auf Deutsch. Wer es bislang noch nicht wusste, der bekommt nämlich in epischer Breite erklärt, dass die beiden Spitzengolfer sich schon seit Kindertagen kennen und sich privat sehr gut verstehen. Spieth war im vergangenen Jahr sogar Thomas‘ Trauzeuge.
Diese Story wird allerdings gleich zu Beginn so sehr betont, dass es schon anstrengt und teilweise auch künstlich wirkt. Dann nämlich, wenn Spieth seinen Buddy auf dem Handy anruft und lose fragt, ob er irgendetwas bei der Traurede beachten müsse. „Rein zufällig“ werden beide Gesprächsteilnehmer just in diesem Moment von Kamerateams begleitet.
„Du wolltest nur ein Golfturnier gewinnen – und plötzlich bist du berühmt“
Auch die Kartentricks, mit denen Spieth seinen Kollegen bei der gemeinsamen Privatjet-Reise unterhält wirken ebenso in die Doku hineingeschrieben wie die klare Rollenverteilung der beiden: Hier Spieth, der Hochbegabte, dem das Spiel nur so zuzufliegen scheint. Dort Thomas, der für den Erfolg offenbar deutlich mehr arbeiten muss.
Andere Szenen wirken authentischer und machen deswegen auch deutlich mehr Spaß. Einmal wird Spieth beim Dreh eines Werbespots begleitet. Dabei gesteht er, dass der Ruhm und die Aufmerksamkeit, die ein Golf-Pro seines Formats bekommen, manchmal auch befremdlich ist. Man fühlt ein bisschen mit dem „Golden Boy“, wenn er unbeholfen um Regie-Anweisungen bittet und dabei aus dem Off erklärt: „Du wolltest eigentlich nur ein Golf-Turnier gewinnen – und plötzlich bist du berühmt“.
Ein Golfer-Leben in Saus und Braus
Nicht dass er die Sponsoren-Einnahmen ablehnen würde. Episode 1 deutet bereits mehrfach an, dass sich die Serie auch mit dem opulenten Luxusleben der Golf-Stars befassen wird. Swimmingpools, teure Autos, schöne Frauen – da kommt einiges. Und die LIV potenziert das Ganze auf finanzieller Seite noch einmal. Die Daseinsberechtigung der neuen Golf-Tour wird in späteren Episoden ebenfalls diskutiert werden. Ob die Serie dabei neutral bleibt, bleibt abzuwarten – an dieser Stelle seien erste Zweifel angemeldet.
Zurück zu Episode 1: Klares Highlight ist die Passage rund um die PGA Championship 2022. Spieth kam unter ferner Liefen ins Clubhaus, doch Thomas tat den Produzenten den Gefallen, eine Achterbahnfahrt hinzulegen, wie sie die Golf-Welt nur selten erlebt. In Runde 3 scheint gar nichts nach Plan zu laufen. Weder die Abschläge noch die Putts sitzen. Der Zuschauer spürt den aufkommenden Frust bei Thomas und die zunehmende Verunsicherung. Sein Vater Mike Thomas, der auch seit der Kindheit sein Trainer ist, leidet mit, hat aber auch keine Mittel, um Justin aufzubauen. Nach der Runde geht dieser entnervt nochmal zur Driving Range, feuert ein paar Bälle ins Nichts und „sucht nach irgendetwas“, wie es Vater Mike ausdrückt.
Mit sieben Schlägen Rückstand auf Mito Pereira geht Thomas in den Finaltag, spielt wie ausgewechselt und holt immer weiter auf. Bei Pereira läuft plötzlich wenig zusammen. Des einen Freud ist des anderen Leid – in kaum einer Sportart schlägt diese Binsenweisheit so unmittelbar ins Mark, wie beim Golf. Pereira versagen am letzten Loch die Nerven. Thomas zieht ins Stechen gegen Will Zalatoris, das er schließlich gewinnt. Besser hätte man es nicht skripten können.
Mike Thomas ist der Sympath in Folge 1
Das Finale ist episch aber nicht kitschig inszeniert – hier beweisen die Produzenten echtes Fingerspitzengefühl. Als Mike Thomas seinen Sohn umarmt und ihm sagt: „Deshalb geben wir niemals auf“, spürt man einen dicken Kloß im Hals. Schließlich hatte Justin im Vorfeld mehrfach betont, wie hoch der Druck bei einem Major ist und wie sehr es ihn beschäftigt hatte, dass er seit seinem ersten Triumph im Jahr 2017 (ebenfalls PGA Championship) keines mehr gewonnen hatte.
Für eine verheißungsvolle Auftaktfolge gebührt der Familie Thomas allgemein Dank, denn sie trägt diese erste Episode. Es werden auch einige Aufnahmen aus Justins Kindheit zur Verfügung gestellt, was auch intime Einblicke ermöglicht. Mike Thomas ist vielleicht der größte Sympathieträger der Folge. Er berichtet auch, dass sein Vater ihn selbst mit strengem Drill trainiert habe. „Das hat mir nicht gefallen. Das wollte ich für Justin nicht. Ihm sollte das Spiel Spaß machen“.
Damit ist eigentlich alles gesagt.
Fazit: Ein Serienauftakt, der Lust auf mehr macht. Es gibt noch so manch spannendes Thema aufzuarbeiten und die Vorschau verrät bereits, dass in den kommenden Episoden andere Protagonisten stärker in den Mittelpunkt rücken. Wir freuen uns drauf. 7/10
Titelbild: Netflix